Wenig Wahl, viel Kampf und Hass

Ein Streifzug durch die USA in den Wochen vor der Präsidentschaftswahl

Die bevorstehende US-Präsidentenwahl polarisiert weltweit wie wohl keine zuvor. Was denken amerikanische Bürger über diesen Urnengang? Vom besorgten Pastor, der in Donald Trump einen gefährlichen Rassisten sieht, bis zur jungen Latina, die in einer linken Studentenstadt für dessen Sieg kämpft – Eindrücke von einem einmonatigen Streifzug von der Ost- zur Westküste.

Washington, DC

Herbstzeit ist Kurzurlaubszeit für Lamar (Name geändert), 43 Jahre alt, und seine fünfköpfige Familie. Beim Ausflug in die Hauptstadt wollten sie eigentlich das neue Museum der afroamerikanischen Geschichte und Kultur Amerikas besuchen. Doch die Schlange vor der Sehenswürdigkeit ist ewig lang, sodass der Pastor einer Baptistenkirche in Tennessee stattdessen im Museum der indianischen Kultur gelandet ist. Das passt gut, denn als Schwarzer interessiert sich Lamar für die Situation von Minderheiten. Schnell kommt man mit ihm ins Gespräch über die schwierige Lage vieler Afroamerikaner. Lamar stammt selbst aus einem sozialen Brennpunkt, er hat den gesellschaftlichen Aufstieg geschafft. Wenig Wahl, viel Kampf und Hass weiterlesen

„Ich setze meine Kinder nicht in so ein Boot“

Wie syrische Flüchtlinge in der türkischen Grenzregion leben

In: Luxemburger Wort, 16. Januar 2016
Text und Fotos: © Michael Merten

In der Region um Antakya, der arabischsten Stadt der Türkei, leben seit Beginn des Bürgerkriegs im Nachbarland viele syrische Flüchtlinge – in höchst unterschiedlichen Situationen: Einige sind vergleichsweise gut integriert, andere leben in Armut. Ein Lagebericht aus dem Grenzgebiet zu Syrien.

Mit einem schüchternen, doch freundlichen Lächeln serviert Reem dem Reporter einen türkischen Kaffee und ein Wasser. Lange hat die 23-Jährige keine Gäste mehr bewirtet – seit sie vor drei Jahren mit ihrem Mann und den beiden kleinen Kindern aus Syrien geflohen ist. Jetzt wohnt sie in Apaydin, einem kleinen türkischen Dorf nur wenige Kilometer von der Grenze zum Kriegsgebiet entfernt. „Das ist schon das neunte Haus, in dem wir Untermieter sind“, berichtet sie. Ihr Mann kommt täglich raus, er hat Gelegenheitsjobs als Maler; für Reem gibt es nur die bescheidene Wohnung und ihre Kinder. Bis auf den monatlichen Besuch bei ihrem Bruder, der im gleichen Dorf wohnt, hat sie kein Sozialleben. „Ich setze meine Kinder nicht in so ein Boot“ weiterlesen

„Die Erde ist kleiner geworden“

Berliner Kommunikationsmuseum beleuchtet Geschichte der Globalisierung

In: Südwest Presse, 9. Oktober 2014
Von Michael Merten (KNA)

Es beginnt mit Jules Verne und für bis zur Globalisierung: Das Museum für Kommunikation Berlin spürt der Verwandlung der Welt nach.

„Die Erde ist kleiner geworden, weil wir sie heute zehn Mal schneller umrunden können als noch vor 100 Jahren.“

Der Satz von Phileas Fogg klingt vertraut, und doch ist er 142 Jahre alt. Damals sorgten Eisenbahn, Postdampfer und Telegraf für eine Revolution des Alltags. Mit der Sonderausstellung „In 80 Dingen um die Welt“ blickt das Berliner Museum für Kommunikation auf die erste Globalisierung im ausgehenden 19. Jahrhundert. „Die Erde ist kleiner geworden“ weiterlesen

Die Blutrache hat stärkere Wurzeln als der Glaube

Wie zwei Ordensfrauen gegen eine grausame Tradition ankämpfen

In: Wochenzeitung Paulinus, 14. September 2014
Von Michael Merten

Ein 18-Jähriger Albaner lebt unter den Vorzeichen der Blutrache: Jeder Schritt vor die Tür kann sein letzter sein. Zwei unerschrockene Ordensfrauen versuchen, den unheilvollen Zyklus der Gewalt zu durchbrechen.

Zügig treten Schwester Christina und Schwester Michaela in das Haus von Ardits Familie ein. Möglichst schnell soll sich die Tür, jene Schranke zur feindlich gesinnten Außenwelt, wieder schließen. Der 18-jährige Ardit, seine beiden Schwestern, die Eltern – die ganze Sippe lebt in Blutrache. Ein Bote aus dem gegnerischen Clan hat kürzlich die Nachricht übermittelt, dass Ardit, die Zukunft der Familie, zum Opfer auserkoren wurde. Sobald er das kleine Haus im Zentrum von Shkodre verlässt, läuft er Gefahr, niedergestreckt zu werden. Die Blutrache hat stärkere Wurzeln als der Glaube weiterlesen

Die Menschen sind nicht das Problem

Teil III des Radreiseberichts Trier – Rom – Athen – Jerusalem

In: Onlinemagazin www.16vor.de, 24. September 2013

Nach rund 4000 Kilometern ging die Radreise des Trierers Michael Merten nach Israel zu Ende. Im dritten und letzen Reisebericht für 16vor schildert er, wie alte Vorbehalte bröckeln – etwa die Vorurteile zu den Siedlern im Westjordanland, nachdem er “echte” Siedler kennengelernt hat, die so gar nicht dem medialen Klischee entsprechen. Er erzählt, wie wenig seine deutsche Herkunft im Staat der Juden eine Rolle gespielt hat und wie herzlich er an Stränden und Campingplätzen aufgenommen und mit Eintopf und Grillgut versorgt wurde.

Israel ist, das habe ich bereits erwähnt – aus europäischer Sicht betrachtet – zunächst einmal ganz anders. Anders aus der Sicht eines Radreisenden, anders im Hinblick auf die immensen Sicherheitsvorkehrungen. Und doch – so ganz anders ist Israel eigentlich auch wieder nicht. Vieles ist einem doch sehr vertraut. Das zeigt sich schon an den Etappen meiner Route: Tel Aviv, Caesarea, Haifa, Akko, Nazareth, Tiberias am See Genezareth, Jordantal, Nablus, Jerusalem, Bethlehem und dann wieder zurück nach Tel Aviv– fast alle diese Orte sind im kollektiven Gedächtnis verankert, da aus der Bibel bekannt. Auch wenn es nicht immer einfach ist, sie zu erreichen, weil sie im Westjordanland liegen. Die Menschen sind nicht das Problem weiterlesen

“Bist du verrückt? Die werfen Steine nach Dir!”

Teil II des Reiseberichts Trier – Rom – Athen – Jerusalem

In: Onlineportal www.16vor.de, 10. September 2013

Der Trierer Michael Merten ist von der Mosel aus zu einer zweimonatigen Radtour aufgebrochen, die ihn zunächst nach Rom und Athen führte (wir berichteten). Nach fast 3000 Kilometern auf dem europäischen Festland kam er per Flugzeug in Israel an – und musste dort feststellen, dass der kleine Staat definitiv nicht das gelobte Land für einen Radreisenden ist. Im zweiten Reisebericht schildert der 29-Jährige seine Erfahrungen mit den scharfen israelischen Sicherheitsbestimmungen und seinem Abstecher ins Westjordanland. Dort erlebt Merten eine Herzlichkeit, wie sie ihm auf seiner gesamten Tour nicht begegnet ist. Menschen schenken ihm frisches Obst und bringen gekühltes Wasser, und schließlich darf der Trierer seinen Draht- gegen einen leibhaftigen Esel eintauschen.

“Wohin genau wollen Sie reisen? Kennen Sie jemanden in Israel?” Diese Sätze klingen wie eine freundliche Unterhaltung mit einem Sitznachbarn. Doch in Wirklichkeit ist es eine Art Verhör. Ein Verhör, das mein ohnehin bereits äußerst angespanntes Nervenkostüm vor eine gewaltige Bewährungsprobe stellt. Dabei hatte dieser letzte Tag in Athen so gut begonnen. Endlich auf nach Israel! Mit Vorfreude war ich bereits drei Stunden vor dem Abflug nach Tel Aviv am Airport von Athen eingetroffen. Mein Rad, für das ich ein 70-Dollar-Zusatzticket erworben hatte, ist in Plastikfolie eingewickelt, der Lenker quergestellt und die vier Radtaschen sowie zwei Packsäcke mithilfe von Müllsäcken und Packgurten äußerst effizient zu einem Bündel verwoben. Ich hatte meine Hausaufgaben gemacht! Doch dann kamen die Mitarbeiter von El Al, der Fluglinie mit dem Davidstern, wohl die strengste Airline der Welt. “Bist du verrückt? Die werfen Steine nach Dir!” weiterlesen

“Mit jeder Panne wuchs die Gelassenheit”

Teil I des Reiseberichts einer Radreise von Trier nach Jerusalem

In: Onlinemagazin www.16vor.de, 16. August 2013

Zwei linke Hände, keinerlei Tour-Erfahrung und die Aussicht auf Außentemperaturen von häufig über 40 Grad – eigentlich nicht die besten Voraussetzungen, um zu einer zweimonatigen Radreise in den Süden zu starten. Der Trierer Michael Merten ist dennoch am 1. Juli in von der Mosel aus aufgebrochen, um vom “Rom des Nordens” über das “Trier des Südens” – besser bekannt auch als “Ewige Stadt” – ins Heilige Land zu radeln. Aus Nazareth lieferte er 16vor am Donnerstag einen Zwischenbericht über seine ersten 2950 Kilometer bis Athen. Der 29-Jährige berichtet von gerissenen Ketten, einem Sturz vor Korinth und von vielen beeindruckenden Begegnungen. Die für ihn erstaunlichste Erkenntnis auf seiner Reise nach Jerusalem: Mit jeder Panne und jedem schweißtreibenden Anstieg wurde es für ihn entspannter.

Es läuft eigentlich alles verdammt gut! Dieser Gedanke geht mir durch den Kopf, wahrend ich mich dem Kanal von Korinth nähere. Es ist der 36. Tag meiner Radreise, seit rund 30 Minuten sitze ich auf dem Rad. Weil ich mir mit dem Zelt abbauen Zeit gelassen hatte, ist es bereits 9 Uhr morgens und ziemlich heiß – die griechische Sonne kennt im August kein Erbarmen. Doch das kann mich nicht erschüttern, schließlich will ich noch am selben Tag in Athen ankommen, nach Rom das zweite große Ziel meiner Tour, die mir zwar einige platte Reifen und gerissene Kettenglieder, aber keinen einzigen Sturz oder gar eine Verletzung beschert hat. Mein Grübeln über die Zwischenbilanz wird jäh, fast auf zynische Art unterbrochen. Über die berühmte Schiffspassage von Korinth führt eine mit Holzplanken ausgestattete Hebebrücke. Einheimische wissen: Hier steigt man als Radfahrer besser ab, denn die Abstände zwischen den Holzplanken sind größer, als man es auf den ersten Blick einschätzt. “Mit jeder Panne wuchs die Gelassenheit” weiterlesen

„Quetscht Euch rein und dann geht’s los“

Zur Autobahn-Auffahrt und den Daumen raus – so haben Generationen junger Menschen ihre Urlaubstage begonnen. Doch das Trampen ist längst nicht mehr so beliebt wie in vergangenen Jahrzehnten, weshalb sich Forum-Autor Michael Merten die Frage gestellt hat: Kann man heute noch bequem per Anhalter reisen? Zusammen mit Kommilitonin Sook-Thing Wong machte er sich auf den Weg Richtung Norden – und landete in Kopenhagen. Ein Bericht über eine rund 2200 Kilometer lange Tour, die viele Überraschungen bot und Einblicke in 24 Autos und das Leben ihrer Fahrer gewährte.

„Vorsicht, wir setzen auf“, warnt Beifahrerin Helena ihren Freund, als sie die Bodenwelle vor sich erblickt. Es ist ein heißer Mittwoch im August. In der drückenden Mittagshitze steuert ein klappriger Zweier Golf eine Tankstelle auf der A1 Richtung Koblenz an. Helena weiß: Eine solche Unebenheit auf der Fahrbahn kann dem Gefährt gefährlich werden, denn der Auspuff wackelt seit einiger Zeit bedenklich. „Ich will nur noch über den TÜV kommen“, erklärt Paddi, ein junger Mechaniker, dem das mit Paddeln, einem Schlauchboot und Taschen recht voll beladene Auto gehört. „Quetscht Euch rein und dann geht’s los“ weiterlesen

Unser tägliches Pfand gib uns heute

Eindrücke von einer Reise mit Zelt, aber ohne Geld

In: Wochenzeitung Paulinus, 16. Oktober 2011

Eine Reise ist in der Regel ein teures Vergnügen. Doch geht es auch ganz ohne Bares und Kreditkarte? Paulinus-Mitarbeiter Michael Merten wollte dieser Frage nachgehen: Mit Zelt, aber ohne Geld machte er sich zusammen mit Studienfreund Stefan Nünlist auf den Weg von Tübingen nach Trier. Ein Reisebericht aus ungewöhnlicher Perspektive.

„Sie können auch mit Karte zahlen“.

Der Ratschlag des Mannes am Nachbarautomaten ist sicher gut gemeint, aber Stefan und ich können uns ein Grinsen nicht verkneifen. Denn wir haben keine EC-Karte dabei, sondern nur drei letzte Geldscheine. Sie sind unser einziges Geld, das wir am Trierer Hauptbahnhof dazu verwenden wollen, ein Quer-durchs-Land-Ticket für zwei Personen zu kaufen. Doch der Automat will und will eine unserer Noten beharrlich nicht akzeptieren. Welche Ironie: Zwei jungen Männern, die zu einem Tripp ohne Geld aufbrechen wollen, gelingt es nicht, ihre letzten Scheine los zu werden. Unser tägliches Pfand gib uns heute weiterlesen