Ein Streifzug durch die USA in den Wochen vor der Präsidentschaftswahl
Die bevorstehende US-Präsidentenwahl polarisiert weltweit wie wohl keine zuvor. Was denken amerikanische Bürger über diesen Urnengang? Vom besorgten Pastor, der in Donald Trump einen gefährlichen Rassisten sieht, bis zur jungen Latina, die in einer linken Studentenstadt für dessen Sieg kämpft – Eindrücke von einem einmonatigen Streifzug von der Ost- zur Westküste.
Washington, DC
Herbstzeit ist Kurzurlaubszeit für Lamar (Name geändert), 43 Jahre alt, und seine fünfköpfige Familie. Beim Ausflug in die Hauptstadt wollten sie eigentlich das neue Museum der afroamerikanischen Geschichte und Kultur Amerikas besuchen. Doch die Schlange vor der Sehenswürdigkeit ist ewig lang, sodass der Pastor einer Baptistenkirche in Tennessee stattdessen im Museum der indianischen Kultur gelandet ist. Das passt gut, denn als Schwarzer interessiert sich Lamar für die Situation von Minderheiten. Schnell kommt man mit ihm ins Gespräch über die schwierige Lage vieler Afroamerikaner. Lamar stammt selbst aus einem sozialen Brennpunkt, er hat den gesellschaftlichen Aufstieg geschafft.
In seiner Gemeinde ist er angesehen, für seine auf Facebook geposteten Bibelsprüche sammelt er viele Likes. Doch Lamar ist tief besorgt, sowohl was die Situation der Minderheiten in den USA als auch die politische Lage angeht. Nach wenigen Minuten des typischen amerikanischen Smalltalks, bei dem man eigentlich nicht über so heikle Themen wie Religion und Politik spricht, wird er deutlich: Er bezeichnet Trump als Rassisten. Es dürfe nicht sein, dass so einer Präsident werde. Bei Facebook positioniert sich der Pastor klar gegen den republikanischen Kandidaten. Aber auch Hillary Clinton ist bei Lamar wie bei so vielen Landsleuten nicht wirklich beliebt. Beide Anwärter bezeichnet er in einem Post sehr deutlich als „horrible choices“, als „entsetzliche Auswahlmöglichkeiten“.
Austin, Texas
1.500 Meilen südwestlich liegt Austin. Ausgerechnet das konservative Texas hat eine hippe Hauptstadt, die für ihr liberales Flair bekannt ist. Dort lebt, seit sie vor zwei Jahren ihren Bachelor beendet hat, Amaridtha (Name geändert), eine 24-jährige Amerikanerin asiatischer Abstammung. Stolz präsentiert die Graphik-Designerin, die bei einem Weltkonzern arbeitet, ihren „Early-Voter“-Button. Sie hat ihre Stimme bereits abgegeben – für Clinton, wenn auch nicht mit Begeisterung. Bei den texanischen Vorwahlen hatte sie überzeugt für Bernie Sanders gestimmt. Der linke Senator ist nach wie vor das Idol vieler junger Amerikaner. Wohl auch, weil er die hohen Studiengebühren drastisch senken will. „Ich habe zwar seit zwei Jahren einen gut bezahlten Job, aber noch immer zehntausende Dollar Schulden vom Studium“, erklärt Amaridtha. Die TV-Duelle hat sie verfolgt; es sei ihr peinlich gewesen, sie habe sich fremdgeschämt für das Bild, das die beiden Kontrahenten abgegeben hätten.
Jetzt hätte sie am liebsten die grüne Kandidatin Jill Stein gewählt, von der jedoch kaum jemand in dem Zwei-Parteien-Staat Notiz nimmt. Weil es eine vergeudete Stimme gewesen wäre, hat sie „das kleinere Übel“ gewählt. Denn sie wollte auf jeden Fall Trump verhindern: „Er steht für das Gegenteil meines Lebensentwurfs“, sagt Amaridtha. Selbst i aus Asien eingewanderte Mutter, die zwar Staatsbürgerin ist, doch wie viele Zuwanderer nie zur Wahl ging, hat sie überredet, dieses Mal ihre Stimme abzugeben. Das hat sie noch nie gemacht; es ist ja auch eine aufwendige Sache, wie Amaridtha erklärt: „Du musst dich aktiv in die Listen eintragen lassen und an einem Arbeitstag Stunden an den Wahllokalen anstehen.“
Berkeley, Kalifornien
Rund 1.800 Meilen weiter nordwestlich hat sich eine große Menge Studenten auf der Upper Sproul Plaza versammelt. Auf dem Platz vor den Toren der Elite-Universität von Berkeley, inmitten des hektischen Getriebes aus allerhand Infoständen, die Werbung für Versicherungen oder Nachhilfekurse machen, überragt ein einiges Zelt alle anderen Stände. Das Dach ist im Design der amerikanischen Nationalflagge gehalten, ein Banner fordert auf: „Unterstützt unsere Truppen“, ein deutlich kleineres Schild verrät, dass es sich um das Zelt der Republikaner am Campus der Hochschule in der San Francisco Bay handelt. Die Truppe besaß auch mal einen lebensgroßen Aufsteller von Donald Trump, doch der wurde zerstört. Stattdessen tragen die Aktivisten Baseball-Kappen mit dessen Wahlspruch „Make America Great Again“.
Einige erinnern in ihren akkuraten Hemden an Vertreter der Jungen Union, andere provozieren bewusst mit Sätzen wie jenem, dass Clinton eine „verdammte Psychopathin“ sei. Mut haben sie immerhin, die Republikaner – in dieser linksliberalen Umwelt, wo Studenten immer noch T-Shirts der längst beendeten Bernie-Sanders-Kampagne tragen, Kommunisten Handzettel verteilen und mittels Plakaten ganz offen zur Revolution aufrufen. Lautstark demonstrieren viele Studenten gegen die Trump-Unterstützer. Flyer oder anderes Infomaterial sucht man an dem Stand vergebens; „geht auf unsere Homepage“, ist der Rat; auf keinen Fall solle man aber auf die Massenmedien hören, dort werde die Wahrheit systematisch verdreht.
Mit breitem Lächeln steht Cynthia, 18 Jahre alt, neben dem Zelt, auf den ersten Blick könnte man sie für eine Gegendemonstrantin halten, denn die junge Latina trägt ein T-Shirt im Design der Clinton-Kampagne. Doch die Aufschrift verrät, zu welchem Lager die Studentin gehört: „Hillary to prison 2016“ – „Hillary ins Gefängnis 2016“. Mit einem Dauerlächeln erklärt sie: „Ich hasse Hillary und unterstütze Donald Trump. Sich als Trump-Unterstützer zu bekennen, sei in diesem Umfeld schwer, vor allem, wenn man eine Latina sei. Viele ihrer Kommilitonen verstünden nicht, warum sie angesichts der Hasstiraden Trumps etwa gegen Mexikaner auf dessen Seite stehe. „Ja, das war eine Verallgemeinerung von ihm, aber das ist kein Rassismus oder Hass, sondern das ist die Wahrheit, das lässt sich aus den Statistiken belegen: Viele Einwanderer sind Vergewaltiger und Kriminelle.“ Für die junge Studentin ist klar: „Die Medien zeichnen ein extrem einseitiges Bild von Trump.“ Hillary sei eine extrem korrupte Politikerin, sie habe Macht und vor allem viel Geld von der Wall Street.
Los Angeles, Kalifornien
In Berkeley wird trotz aller wahlbedingten Zuspitzung immerhin noch miteinander gesprochen, Gegner und Anhänger Trumps diskutieren mit Argumenten. Ganz anders auf dem belebten Hollywood Boulevard in Los Angeles. Am vorletzten Samstag vor der Wahl versucht hier ein Dutzend Trump-Anhänger, inmitten des Gewusels aus Touristen Wählerstimmen zu werben. Veteranen für Trump. Liberale für Trump. Latinos für Trump, mit solchen Positiv-Plakaten treten die Aktivisten auf. Fast könnte man glauben, eine breite gesellschaftliche Koalition stünde hinter dem Kandidaten. Doch dann sieht man die vielen anderen Plakate, die negative Botschaften verbreiten: „Wikileaks sagt: Hillary lügt“. Oder: „Hillary, ihrer Lügen beraubt“, dazu hebt sich vor schwarzem Hintergrund die Zeichnung einer nackten, ausgemergelten Hillary in Handschellen ab.
Auch der Name der Kontrahentin wird verunglimpft: Killary wird sie genannt, sogar Hitlery. Auf den Verweis, dass Hitler für die Ermordung von Millionen Menschen verantwortlich war, entgegnet eine fahnenschwenkende Aktivistin, Clinton werde als Präsidentin unzählige Soldaten in den Tod schicken. Unter die Trump-Aktivisten haben sich Gegner gemischt, darunter ein Double des Kandidaten mit „F… Trump“-Schild. Von einem wild mit einer Donald-Gesichtsmaske umhertanzenden Mann lässt sich schwer sagen, ob er für oder gegen Trump mobil macht.
Was in Los Angeles abgeht, das ist kein Wahlkampf mehr, wie man ihn von etablierten Demokratien kennt. Das ist eine Mischung aus Skurrilität und vor allem: Hass. Blankem Hass. Die Grand Old Party Abraham Lincolns hat mit den Trump-Aktivisten Geister heraufbeschworen, die sie nicht mehr loswird, die sie nicht mehr unter Kontrolle hat. In der letzten TV-Debatte hat Trump offen gelassen, ob er eine mögliche Niederlage akzeptieren würde. Auf den Straßen Amerikas bekommt man in diesen Tagen eine Vorahnung davon, wie sich dieser über Monate aufgebaute Hass nach der Wahl Bahn brechen könnte.