„Die Mariensäule ist mein Leben“

Für 150 Jahre altes Denkmal seilt sich Michael Blum 35 Meter ab

In: Paulinus, katholisch.de u.a., 8. Oktober 2016

Seit 150 Jahren thront die Mariensäule über den Dächern von Trier. Für Michael Blum gehört das Wahrzeichen zur Familie: Wie schon sein Großvater reinigt er es ehrenamtlich – und seilt sich dafür bis zu 35 Meter ab.

Endlich geschafft! Eine Schulklasse auf Wandertour macht es sich am Fuß der Trierer Mariensäule gemütlich. Dort oben, auf den Stufen des Denkmalsockels in 180 Metern Höhe über dem Moseltal, genießen die Jugendlichen den Blick auf die Römerstadt. Bei dem herrlichen Panorama fällt es kaum auf, dass viele der mitgebrachten Tüten und Verpackungen auf dem Boden landen, wo sie sich mit den vorhandenen Scherben von Bierflaschen vermischen.

Während der Lehrer über die Säule referiert, richten sich die Blicke der Schüler auf Michael Blum. Der 34-jährige trägt Sicherheitsschuhe und eine Schnittschutzhose. Mit einer Mülltüte in der Hand geht er durch die Reihen der jungen Leute, kehrt mit geübten Handgriffen Scherben zusammen und hält aufmerksam nach Unrat jeder Art Ausschau. Verschämt greifen mehrere Schüler nach ihrem Müll, den sie so achtlos fallengelassen hatten.

Michael Blum arbeitet bei der Stadt Trier als Straßenkehrer. Doch das hier ist Freizeitbeschäftigung für den jungen Mann. Jeden Sonntag, im Sommer auch an drei Abenden unter der Woche hält er das Gelände rund um die Mariensäule sauber. Zwar gibt es für dieses Ehrenamt eine kleine Entschädigung, doch die steht in keinem Verhältnis zu dem Aufwand, den er betreibt. „Es ist eine Herzensangelegenheit. Das ist das einzige Erbe vom Papa, wo ich sagen kann: Ja, das ist mein’s!“

Schon Michaels Vater Klaus, früherer Ortsvorsteher im Stadtteil Trier-West/Pallien, und sein Großvater waren jeden Sonntag im Einsatz für die Säule. Michael ging schon als Bub mit. Zeitweise waren auch Firmen mit der Reinigung beauftragt, doch dem Vater reichte das nicht: Zu viel Müll blieb liegen. Und vor allem hatten die Firmen nie den Felshang im Blick. Anders als die Blums.

Mit Helm und Gurt

Was macht er denn jetzt?, diese Frage steht den beobachtenden Schülern ins Gesicht geschrieben, als Michael Blum plötzlich einen Helm aufsetzt und einen Gurt anlegt. Eingehakt im Geländer, klettert er hinüber und geht den Hang des Sandsteinfelsens hinunter. Michaels Vater stieg noch ohne Sicherung hinab. Das sei ihm zu riskant, sagt der Sohn, obwohl er die Wege genau kennt.

Sorgfältig durchkämmt er das zugewucherte Gelände. Scherben, Grille, Matratzen, Einkaufswagen, Sektflaschen – „ich hab schon alles hier weggeholt, auch Fahrräder“, berichtet Blum. Vor allem im Sommer sei es manchmal heftig: „Wenn hier zwei Tage nicht gereinigt ist, sieht es aus wie Sau.“ Am Geländer hängen mittlerweile zahlreiche Liebesschlösser; das ist Blum aber deutlich lieber, als wenn Verliebte ihre Initialen in den Stein ritzen.

Nicht nur die Säule selbst, auch ein „zur Erinnerung der Einweihung der Mariensäule“ errichtetes Kreuz ist so voll von eingeritzten Initialen, dass man die Inschrift kaum noch lesen kann. Diese feierliche Einweihung am 8. Oktober 1866, mit dem damaligen Bischof Leopold Peldram – ein gesellschaftliches Großereignis. Dass es dazu kam, hängt viel mit dem Dogma von der unbefleckten Empfängnis der Gottesmutter Maria zusammen, das Papst Pius IX. 1854 verkündete.

Bei vielen Katholiken auch in Deutschland kam es zu einer erstarkten Marienfrömmigkeit, wie der Historiker Arthur Fontaine ausführt. In Rom, Le Puy-en-Velay, Düren und Köln wurden in den 1850er Jahren Denkmäler und Säulen zu Ehren Mariens gebaut. Auch in Trier warb ab 1858 ein Komitee Spenden ein. Die Initiatoren waren keine Geistlichen, sondern Bürger – vom Gerbermeister bis zum Wundarzt. Durch Kollekten, Benefizveranstaltungen und viele Spenden „kleiner Leute“ kamen die Mittel zusammen, wie Fontaine berichtet.

Vor nunmehr 150 Jahren, am 25. Mai 1866, wurde das Denkmal fertiggestellt. Der quadratische Sockel hat eine Seitenlänge von rund sechs Metern. Zusammen mit der rund sieben Meter hohen sandsteinernen Maria, die ihre Hände zum Gebet faltet, ist das Denkmal knapp 40 Meter hoch. Es überragt alle Bäume des umgebenden Waldes auf dem Markusberg, wo im ausgehenden 19. Jahrhundert auch eine Kapelle und ein Stationsweg errichtet wurden.

Kehren vor dem Heiratsantrag

Das Gelände ist heute ein beliebter Rastpunkt für Wanderer, vor allem aber für Verliebte. Blum, der seinem Heimatstadtteil eng verbunden ist und im Tal gleich unter der Säule wohnt, erzählt, dass er hin und wieder einen Anruf bekommt: Kannst du nicht an einem bestimmten Abend sauber machen? Ich will meiner Freundin einen Antrag machen. Manchmal kämen hochschwangere Frauen nach oben, um ihr erwartetes Kind unter den Schutz der Maria zu stellen.

Vor allem im Sommer kommen jedoch auch viele junge Leute zum Partymachen. Dann kommt es schon mal vor, dass Blum in seinem geräumigen Wagen dort übernachtet, die Lage beobachtet – und so weniger Sektflaschen im Hang landen. Blums Devise, im Trierer O-Ton: „Dat Ding muss sauber sein – egal wie.“ Denn es ist nicht irgendein Denkmal: „Die Mariensäule ist mein Leben.“

In schwierigen Momenten oder einfach nur an einem „scheiß Tag“ schließt Blum die kleine Tür an der Hinterwand des Denkmals auf. Im schmalen Innenraum, wo er ein paar Utensilien deponiert hat, führt eine Treppe mit 105 Stufen in die Höhe. Dort oben, im öffentlich nicht zugänglichen Bereich, ist er am Fuß der Maria ganz für sich. „Dann brülle ich mir auch schon mal die Seele heraus, danach geht es einem schon viel besser“.

Einen solchen Tag gab es vor ein paar Jahren, als sein Vater plötzlich schwer krank wurde. Blum erzählt, dass er noch am selben Abend nach oben ging und zu sich sagte: „Mariechen, du bleibst bei mir!“ Dort oben sei man dem Himmel ein Stück näher, sagt er, auch wenn ihn die schwere Erkrankung des Vaters am Himmel zweifeln ließ. Aber Blum ist sich mit Blick auf Maria sicher: „Sie hat bis jetzt immer Glück gebracht.“

Fünf Jahre alt war er damals, als sein Vater ihn zum ersten Mal mit zur Maria nahm. Der junge Mann ist sich sicher: „Wenn ich mal ein Kind habe, dann sag‘ ich ihm: Hier, das wird in Zukunft deine Aufgabe sein.“

Veröffentlicht von

Michael Merten

Journalist in der Großregion Trier-Luxemburg.