Die Rückkehr des Wolfs in die Großregion

Interview mit einer Wolfsexpertin und Besuch bei einem Schäfer

In: Luxemburger Wort, 10.02.2017

Es ist wohl keine Frage des ob, sondern eher eine Frage des wenn, bis sich der Wolf auch in Luxemburg seinen Lebensraum zurückholt. 1893 wurde er im Großherzogtum wie in vielen Ländern Europas ausgerottet. In den letzten Jahren hat es in der Großregion mehrere Sichtungen gegeben. Viele Bürger fragen sich: Sind die betroffenen Landwirte, sind die Behörden auf den Beutegreifer vorbereitet? Wir haben mit Betroffenen gesprochen. Wir wollten von einer Wolfsexpertin mehr über den Charakter der Tiere wissen. Und was sagt ein Schäfer zu der Rückkehr des Wolfes?

„Wir müssen wieder mehr Respekt vor der Natur lernen“

Wolfsexpertin Tatjana Schneider warnt vor Idealisierung des Tiers

Im Interview gibt Tatjana Schneider, Leiterin des Wolfsparks Werner Freund im saarländischen Merzig, Verhaltenstipps für eine unerwartete Begegnung mit den Tieren.

Frau Schneider, für viele Menschen ist der Wolf ein mystisches Tier aus Welt der Sagen und Legenden. Was ist der Wolf für Sie persönlich?

Für mich ist er in erster Linie ein Tier, das eine Daseinsberechtigung in unserer Natur hat. Man sollte vor Augen behalten, dass man es hier mit einem wilden Beutegreifer zu tun hat, der nicht darauf aus ist, das Leben der Menschen zur Hölle zu machen. Er ist nicht die böse Bestie von früher, aber man sollte den Wolf auch nicht vergöttern. Er gehört zu unserer Natur. Die Frage ist nur: Der Wolf ist anpassungsfähig. Sind wir es auch? Das ist die große Frage.

Wer muss sich vor allem anpassen: Die Schäfer? Die Jäger? Die Jogger und Mountainbiker im Wald?

Ich denke, wir müssen uns alle anpassen, denn wir dürfen nicht vergessen, dass sich in den 150 Jahren, wo der Wolf nicht da war, viel verändert hat. Es gab lange Zeit keine Bedrohungen im Wald. Das geht alle Menschen etwas an – Schäfer, Jäger, Jogger, Eltern, die sich fragen, ob ihre Kinder sicher sind, wenn sie die unbeaufsichtigt draußen spielen lassen. Viele Menschen hängen noch an den alten Ängsten, die durch die Märchen vom bösen Wolf verbreitet wurden. Da muss viel Aufklärungsarbeit geleistet werden; für so was ist das Wolfsmanagement sehr gut. Für Hundebesitzer ist es zum Beispiel wichtig, ihre Tiere in Gebieten, wo es Wölfe gibt, stärker im Auge zu behalten und sie unter Kontrolle zu behalten. So ein Hund kann dann nicht ganz frei herum streunen, wenn er auf einmal auf drei Wölfe stoßen könnte.

Was würde dann passieren?

Wenn die Wölfe ihn als Eindringling sehen und wenn das ihr Territorium ist, dann könnte es zu einer Konfrontation kommen.  Das muss aber nicht passieren, wenn Sie als Besitzer in der Lage sind, den Hund zu sich zu rufen, am besten hinter sich. Letztes Jahr gab es in Deutschland einen Fall, wo eine Frau mit ihren Hunden angeleint im Wald spazieren ging. Auf einmal stand ihr eine ganze Wolfsfamilie von sechs, sieben Tieren gegenüber. Sie hat in ihrem Schockzustand richtig reagiert: Sie ist ruhig geblieben, hat sich langsam umgedreht und die Hunde sind brav mit ihr den Weg zurückgegangen. Die Wölfe haben sie nur beobachtet, bis sie aus ihrem Territorium raus war. Es wäre eine ganz leichte Sache für diese Wölfe gewesen, zu sagen: Wir töten jetzt die Hunde und verletzen sie schwer. Ohne Probleme!

Es gibt ja in der Öffentlichkeit zwei sehr verschiedene Sichtweisen: Die einen sagen, der Wolf ist ein scheues, zurückhaltendes Tier. Andere sagen, er ist gefährlich; es gibt beispielsweise in Kanada Berichte über Vorfälle, wo Menschen getötet worden sein sollen.

Ich war vor zwei Wochen erst in Kanada und hatte meine erste Begegnung mit freien Timberwölfen. Die Kanadier leben mit Wildtieren. Sie wissen: Wir haben hier Braunbären, Grizzlys, Bergpumas, Kojoten und so weiter. Dort sind die Wölfe auch scheu, aber nicht so stark wie die europäischen Tiere, die über viele Jahre gejagt wurden. In Kanada haben sich die Menschen der Natur angepasst, sie wissen, wie sie sich verhalten müssen.

Was wären denn Verhaltenstipps, die Sie empfehlen können?

Das erste, was ich jedem mitgeben möchte: Bitte nicht anfüttern! In Kanada gab es das Problem, dass Wildtiere angefüttert wurden. Da stehen überall Verbotsschilder, und wenn sie dich ertappen, kann das Tausende Dollar kosten.

Sind wir Mitteleuropäer ein Stück weit zu unbedarft? In unseren Wäldern gibt es ja keine gefährlichen Tiere.

Nicht wirklich. Es ist aber interessant, dass viele Menschen Panik vor dem Wolf haben. Wenn du aber einer Schweinerotte begegnest, ist das nicht ohne. Beim Wolf kannst du noch erwarten, dass er schnell Land gewinnt. Eine Bache mit sieben Frischlingen, die wird das nicht tun: Da musst du selbst schauen, dass du Land gewinnst.

Wie kann man den Wolf charakterisieren? Auch im Vergleich zum Hund, mit dem ja viele Menschen Erfahrung haben?

Das Einzige, was Hunde und Wölfe gemeinsam haben, sind Mimik, Körpersprache und die Laute, die sie von sich geben. Das waren aber weitgehend die Gemeinsamkeiten. Hunde sind domestiziert, sie wissen, dass sie versorgt und gepflegt werden. Bei Straßenhunden kann man schon eher jenen wilden Überlebensdrang feststellen, der die Wölfe sehr stark prägtt.

Sind Wölfe intelligente Tiere?

Sie werden oft unterschätzt, was ihren sehr stark entwickelten Geruchssinn, ihr Gehör und ihre Sehkraft angeht. Wölfe sind auch in der Lage, Pläne zu entwickeln. Ein Beispiel: Huka, unsere europäische Wölfin, lebt mit ihrem Bruder im Gehege zusammen. Wenn ich sie füttere, ist er meist schneller; sie weiß, dass sie keine Chance hat. Sie läuft dann zum Grenzgebiet auf der anderen Seite und tut so, als ob da was ganz Spannendes passiert, und guckt ganz fixiert rüber. Ihr Bruder behält sie natürlich im Auge; sie rennt dann am Grenzzaun entlang, woraufhin ihr Bruder alles fallen lässt und mitkriegen will, was los ist. Dann macht Huka schnell kehrt und schnappt sich das Fleisch. Genauso können Wölfe strategisch bei der Jagd auf eine Herde vorgehen: Einer lenkt die Wachhunde ab, die anderen schnappen sich die Schafe.

Rechnen Sie damit, dass der Wolf in den nächsten Jahren in die Großregion zurückkehrt?

Im weniger dicht besiedelten Norden von Luxemburg mit seinen großen Waldgebieten, in den belgischen Ardennen ist das sehr gut möglich. Es gibt auch schon vereinzelte Wölfe, die von Frankreich aus die Gegend erkunden, aber keine ganzen Familien.

Sind die Behörden mit ihren Wolfsmanagement-Plänen gut vorbereitet?

Das Wolfsmanagement sorgt dafür, dass die Menschen informiert werden und Tierhalter unterstützt werden. Wichtig wären aus meiner Sicht ein paar Verbote, etwa dass man nicht anfüttern darf. In letzter Zeit gibt es eine Neigung dazu, das Tier zu vergöttern. Aber der Wolf ist kein Heiliger, er ist auch kein Böser. Man sollte ihn einfach als wildes Raubtier sehen und ihm auch Respekt entgegenbringen. Früher hatten die Wildtiere zumindest nachts ihre Ruhe. Heute werden nachts noch Wanderungen gemacht,  Läufer, Quadfahrer und Mountainbiker sind mit Licht im Wald unterwegs. Die Tiere schrecken dann in ihrem Schlaf auf. Das muss nicht sein.

 

„Der Wolf gehört in unsere Natur“

Schäfer Florian Weber rät zur Gelassenheit

 

Abseits von Lieler liegt die Schäferei von Florian Weber. Nur wenige Regionen des Großherzogtums sind derart dünn besiedelt wie der Norden Luxemburgs. Vom Hof seines großen Anwesens aus weist Weber in die Ferne, über die naheliegende Grenze nach Deutschland: „Wenn du hier das Our-Tal entlang wanderst, dann siehst bis nach Dasburg 15 Kilometer lang kein einziges Haus.“ Die Gegend mit den vielen Wiesen und Wäldern ist ein Idyll für die rund 700 Schafe Webers. Aber hier, wo es bis zu den dichten Wäldern der Ardennen nur rund 60 Kilometer sind, herrschen auch perfekte Voraussetzungen für die Rückkehr eines ausgerotteten Tieres. „Wir sind sicher, dass der Wolf kommen wird“, sagt Weber. „Das kann fünf oder zehn Jahre dauern, vielleicht tauchen einzelne Tiere aber auch schon in einem halben Jahr auf.“

Für den gelernten Schäfer ist das eine zwiespältige Sache, denn als Naturliebhaber findet er es gut, dass der Wolf heimkehrt, denn er gehöre zur Landschaft dazu. Doch das Raubtier ist eine Gefahr für seine Tiere. Weber, der täglich mindestens fünf Stunden Zeit mit seinen Schafen verbringt, kennt diese gut: „Wir haben zwar keine Namen für sie, aber man erkennt die Gesichter und ihre Charaktere.“ Wie viele andere Schäfer auch, verfügt Weber derzeit nicht über ausreichende Sicherheitsvorkehrungen. Die jetzigen 60-Zentimeter-Zäune halten zwar Schafe in Schach, aber keine Wölfe ab.

Hier würden Maßnahmen aus dem Wolfsmanagement der Regierung helfen: Wenn der Wolf zurückkommt, kann Weber Zuschüsse für die Anschaffung höherer Zäune oder von Herdenschutzhunden beantragen. Auch würden Entschädigungen für gerissene Schafe bezahlt. Doch das würde längst nicht alle Kosten decken. Schafe sind schreckhafte Tiere; Weber erinnert sich an Vorfälle: „Wenn ein wilder Hund in der Herde war, merkt man das zwei Wochen lang. Die Schafe fressen dann nicht mehr gut, was sich auch auf die Lämmer auswirkt.“

Die Tiere im Stall zu halten, kommt für Weber nicht in Frage. Das sei zwar bei der stark industrialisierten Hühner- und Schafzucht auch in Luxemburg üblich, doch Kühe und Schafe würden oft noch artgerecht draußen gehalten. Wenn der Wolf da ist, wird man die Tiere jeden Abend in den Stall treiben müssen. „Es wird unseren Alltag verändern“, sagt Weber. Der Schäfer weiß von französischen Kollegen, die über existenzbedrohende Einnahmeverluste durch den Wolf klagen. Derartige Szenarien hält er in Luxemburg für unwahrscheinlich. „Ich sehe die große Herausforderung eher in der alltäglichen Mehrarbeit, das werden zwei, drei Stunden mehr sein.“

Arbeit, für die ihn niemand entschädigen wird. Doch das würde Weber in Kauf nehmen. Er rät allen Menschen, die sich wegen des Wolfs sorgen machen, zur Gelassenheit: „Nur die wenigsten Luxemburger werden das Tier überhaupt einmal zu sehen bekommen. Ich hoffe nur, dass man die Gruppen der Bevölkerung, die darunter am meisten betroffen sind, auch unterstützen wird.

 

Veröffentlicht von

Michael Merten

Journalist in der Großregion Trier-Luxemburg.