Der Wahlkämpfer

Portrait des konservativen amerikanischen Kardinals Raymond Burke

In: Christ & Welt in der ZEIT, Ausgabe 13/2015, 26. März 2015

Der amerikanische Kardinal Raymond Burke hält nichts von Reformen in der Kirche. Vor der Bischofssynode zu Ehe und Familie im Herbst geht er auch in Deutschland auf eine Tour für seine Wahrheit.

Gezielten Schrittes bahnt sich ein älterer Herr seinen Weg durch das überfüllte Foyer des Pfarrheims in Herzogenrath. Es ist nicht leicht, zu dem allgemeinen Objekt der Neugier vorzudringen. Junge Priester im Talar, Laien im feinen Zwirn, sie alle wollen mit ihren Handys ein Erinnerungsfoto mit dem Ehrengast machen. Schließlich hat es der alte Mann im Trachtenjankerl geschafft: Er steht im Angesicht Seiner Eminenz, des Kardinals Raymond Burke. Umgehend kniet er vor dem Würdenträger mit schwarzer Soutane und scharlachrotem Birett nieder, ergreift die ihm dargebotene rechte Hand und küsst den Kardinalsring. Burke lächelt freundlich, nimmt das Buch, das ihm der Gläubige reicht, zückt seinen Füller und signiert es.

Burke, einer von derzeit 225 Kardinälen der katholischen Kirche, zählt qua Amtes zu den treuesten Dienern des Papstes. Zugleich ist der US-Amerikaner einer der entschiedensten Gegner von Franziskus. Dadurch ist er für die rund 200 konservativen Katholiken, die an der »Kölner Liturgischen Tagung« teilnehmen, ein Vorbild. Gerade ist Halbzeit zwischen den beiden außerordentlichen Bischofssynoden zu Ehe und Familie im Herbst 2014 und 2015. Obwohl Burke in Herzogenrath offiziell nur einen Fachvortrag hält, betreibt er in Wahrheit einen verdeckten Wahlkampf gegen die Reformziele seines Pontifex. Viel hat Franziskus in den letzten Monaten von seinem anfänglichen Schwung verloren. Seine Gegner wittern Morgenluft und versuchen, die Deutungshoheit über das wahrhaft Katholische zurückzugewinnen. Die einen agieren still im Verborgenen, die anderen geben schrille Interviews und lieben markige Auftritte. So auch Raymond Burke, 1948 im US-amerikanischen Bundesstaat Wisconsin geboren, zweiter Vorname: Leo, der Löwe.

Der Kirchenfürst fühlt sich in Herzogenrath bei Aachen sichtlich wohl. Dort ist die Welt noch in Ordnung: Die Kirche ist eine prägende gesellschaftliche Instanz, so wie in der guten alten Zeit. Seit 2002 ist Guido Rodheudt Pfarrer in der Kleinstadt an der niederländischen Grenze. Der Priester gilt als Institution; zu seinem silbernen Priesterjubiläum im vergangenen Jahr schenkten ihm die Gläubigen einen Gutschein für ein Priestergewand und die 60-teilige Bibliothek der Kirchenväter. Damals platzte das Pfarrheim aus allen Nähten.

Selbst ein pastorales Entgegenkommen ist zu viel für die Hardliner

Auch am Freitagabend ist es bis auf den letzten Platz gefüllt. So viel Interesse habe es zuletzt beim Besuch der Fürstin Gloria von Thurn und Taxis gegeben, freut sich Gastgeber Rodheudt. Der engagiert sich nebenbei im Netzwerk katholischer Priester und der Bewegung »Una Voce«, die für die Pflege der alten lateinischen Liturgie eintreten. Für Geistliche wie Rodheudt läuft die katholische Kirche Gefahr, vom rechten Weg abzukommen. Als romtreue Benedikt-Anhänger müssen sie miterleben, dass ausgerechnet der Pontifex die tradierten Positionen zu Ehe und Familie zur Disposition stellt. Reformer wie der deutsche Kardinal Walter Kasper setzen sich für einen barmherzigeren Umgang mit wiederverheirateten Geschiedenen ein. Die kirchliche Lehre, dass eine Ehe unauflöslich ist, stellt zwar kein Kirchenfürst infrage. Doch selbst ein Entgegenkommen auf pastoraler Ebene, etwa dass in Ausnahmefällen Wiederverheiratete zur Kommunion zugelassen werden, geht Hardlinern wie Burke zu weit. Dafür attestiert Pfarrer Rodheudt dem Kardinal eine »beeindruckende Standfestigkeit als Hirte der Kirche« sowie eine »Treue zur Glaubenswahrheit über die Ehe«.

Eine verbeulte Kirche ist es nicht, die sich um Burke versammelt hat. Die Geistlichen und Laien mit korrekt gescheitelten Frisuren und akkurat sitzenden Anzügen illustrieren mit ihrem bloßen Erscheinen, wie sich Burke seine Kirche vorstellt: »Heilig soll sie sein und makellos.« Ohne Flecken und Falten. Unter den Gästen sind kirchliche Würdenträger wie der emeritierte Kölner Weihbischof Klaus Dick und selbst ernannte Verteidiger des christlichen Abendlandes, darunter auch der vom marxistischen Saulus zum gläubigen Paulus bekehrte Publizist Matthias Matussek. Sie alle eint die Verehrung der außerordentlichen Form des Römischen Ritus. Mit dem Gesicht zum Altar, den Gläubigen seinen Rücken zuwendend, unterscheidet sich Burke deutlich vom eher kirchenvolksnahen Franziskus. Der Kardinal liebt und lebt die alten Schätze, die prächtigen Gewänder der römischen Liturgie. Für Franziskus ist das Karneval, er bevorzugt schlichte Roben und fremdelt auch nach zwei Jahren im Amt noch mit den Traditionen.

Papst Franziskus ist für Burke ein Unglücksfall

Doch es geht nicht nur um Stilfragen: Für den Konservativen Burke ist das Pontifikat des argentinischen Reformers ein Unglücksfall. Unter konservativen Päpsten nahm seine Karriere rasch Fahrt auf. Johannes Paul II. machte ihn 2003 zum Erzbischof von St. Louis in Missouri. Benedikt XVI. holte ihn fünf Jahre später nach Rom, machte ihn zum Präfekten des vatikanischen Gerichts der Apostolischen Signatur, des obersten kirchlichen Gerichtshofs. 2010 erhielt er den Kardinalshut, zusammen mit dem Münchner Erzbischof Reinhard Marx. Auch dieser galt als konservativer Benedikt-Vertrauter. Doch Marx machte unter Papst Franziskus weiter Karriere, während Burkes Stern stetig sank. Er polarisierte stark gegen Veränderungen, profilierte sich als Speerspitze der Konservativen. So wetterte er gegen eine vermeintliche »Feminisierung« der Kirche durch weibliche Ministranten, äußerte sich mehrfach kritisch über Homosexuelle und sprach dem Papst Führungsstärke ab.

Franziskus entzog Burke darauf die Mitgliedschaften in der Bischofs- und Heiligsprechungskongregation. Im vergangenen November nahm er ihm dann auch den einflussreichen Präfektenposten. Als Trostpflaster verblieb Burke nur das repräsentative, aber machtlose Amt als Kardinalpatron des Malteserordens. Eine vielversprechende kuriale Laufbahn endete im juvenilen Alter von 66 Jahren.

Seitdem hat Burke nicht mehr viel zu verlieren. Reden wie jene in Herzogenrath sind deshalb Wahlkampfauftritte eines Wahrheitskämpfers, der seine Anhänger auf den entscheidenden Kampf einschwört. Die sexuelle Promiskuität zerstöre die Ehe, Jugendliche würden sittlich korrumpiert, durch die Gleichsetzung homosexueller Beziehungen mit der Ehe sei man im Begriff, »den Sinn der Natur des Menschen selbst zu verlieren«. Dem stellt Burke das Idealbild der Familie entgegen. Sie könne nur aus einer Ehe zwischen Frau und Mann hervorgehen, »vollkommen in der Treue und vollkommen in der Verbindlichkeit bis in den Tod«. Weil die Kirche der »mystische Leib Christi« sei, gebe es keinen Raum für Revolutionen, ohne schwerste Schäden für den Organismus hervorzurufen. Deshalb dürfe es keine Änderungen geben, nicht bei der Pastoral, erst recht nicht bei der Lehre: »Wir müssen zurückkehren zu dem, was die Kirche immer gelehrt hat.« Es gebe keine neue Offenbarung. Burke vertraut darauf, dass die Kardinäle in seinem Sinne handeln und jede Aufweichung der Lehre verhindern werden. Auch Vorschläge, die kirchlichen Ehenichtigkeitsverfahren einfacher zu gestalten, lehnt er ab.

„Ich habe zum Heiligen Geist gebetet“

Burke wirft dem Papst vor, bei der vergangenen Synode nicht klar Stellung bezogen zu haben. Franziskus müsse seine Position im kommenden Herbst erklären. Dabei hatte der Papst in einem Interview im Dezember Stellung bezogen und sich für eine stärkere Integration der wiederverheirateten Geschiedenen ausgesprochen. Er forderte, die Diskussion nicht nur auf die Kommunionfrage zu verengen; die Betroffenen seien schließlich auch als Lektoren oder Paten ausgeschlossen. »Dinge müssen sich ändern«, sagte Franziskus der argentinischen Tageszeitung »La Nación«. Bei der Gelegenheit betonte er, dass er Burke nicht zu den Maltesern strafversetzt habe.

Ob degradiert oder nicht: Der Kardinal kommt bei den Gesinnungsfreunden in Herzogenrath gut an. Pfarrer Rodheudt erinnert daran, dass Kardinäle notfalls als Märtyrer für die Lehre eintreten müssten, bis in den Tod. In dieser Opferrolle gefällt sich Burke, der nicht polternd, sondern staatsmännisch auftritt. Er muss als Kardinal schließlich einigermaßen diplomatisch bleiben. Ein Zuhörer will wissen, ob er auch – horribile dictu – die Gefahr einer Kirchenspaltung sehe. Burke antwortet: »Ich teile Ihre Besorgnis.« Er selbst, so verkündet der Kirchenfürst, werde seiner Position treu bleiben. Der Wahrheitskämpfer ist siegesgewiss. »Ich habe zum Heiligen Geist gebetet, dass er die Synodenväter erleuchten möge«, verrät er. Was aber, wenn der Heilige Geist sich auf die Seite der Reformer schlagen sollte; wenn die Kirche sich behutsam für Wiederverheiratete öffnen sollte? Burke macht deutlich, dass er auf keinen Fall nachgeben wird: »Ich habe als Bischof die Pflicht, die Wahrheit zu verkünden. Ich werde das auch weiter tun.« Das Publikum applaudiert begeistert. Denn es weiß: Selbst wenn es tatsächlich zu einer Spaltung kommen sollte, hätte es immerhin die Wahrheit auf seiner Seite.

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Veröffentlicht von

Michael Merten

Journalist in der Großregion Trier-Luxemburg.