Wenn aus Hassliebe Stolz wird

Die Stadt Trier und ihr Verhältnis zum berühmten Sohn Karl Marx

In: Luxemburger Wort, auszugsweise dw.com, 14.03.2017

Vor dem 200. Geburtstag von Karl Marx tut man sich in dessen Heimatstadt Trier noch immer schwer mit dem Philosophen. Nun beflügelt China die Diskussion – mit einer sechs Meter hohen geschenkten Statue.

„Und was kommt als Nächstes? Kim Jong-un?“ Missmutig betrachtet ein älterer Trierer Bürger eine hölzerne Konstruktion. Mit Sockel ragt sie rund sechs Meter über den Boden auf. Sie zeigt – zunächst noch im Modell – einen bronzefarbenen, überlebensgroßen Karl Marx (1818-1883) in Gehrock mit rauschendem Bart und energischem Blick. „Das erinnert mich an eine Lenin-Statue“, fühlt sich der Trierer an DDR-Zeiten erinnert. 20 Meter weiter bläst ein NPD-Aktivist unentwegt in seine Trillerpfeife. Dann ruft er: „Nie wieder Marxismus! Nie wieder Marxismus!“

Es war am Aschermittwoch, als sich zahlreiche Bürger und Medienvertreter auf dem Trierer Simeonstiftplatz versammelten, um einen improvisierten Statuen-Dummy in Augenschein zu nehmen. Seitdem wird in der Öffentlichkeit, vor allem in sozialen Netzwerken, über die Frage gestritten: Soll die Stadt Trier im kommenden Jahr auf dem Platz nahe der Porta Nigra eine bronzene Marx-Statue aufstellen? Es wäre ein Geschenk der Volksrepublik China an die Stadt – zum 200. Geburtstag ihres wohl berühmtesten Sohnes.

Am 5. Mai 1818 wurde der Philosoph und Ökonom in Trier geboren. Zwar verließ er nach dem Abitur die Stadt, um Jura zu studieren. Doch die Wurzeln des Theoretikers des Sozialismus liegen an der Mosel. In Scharen pilgern jedes Jahr tausende Touristen aus dem offiziell noch immer kommunistischen Reich der Mitte zu seinem Geburtshaus, dem Museum Karl-Marx-Haus.

Trier und seine Bürger fremdeln hingegen noch immer mit ihrem berühmten Sohn. „Die Stadt Trier ist zwar froh über jeden chinesischen Touristen, aber Karl Marx wird in Trier nicht geehrt“, gibt eine Passantin zu bedenken. „In seinem Namen ist ja auch viel Unheil geschehen.“ Auf Facebook wettert ein Trierer: „Wer brauch diese blöde Statue von Marx? Sollen das Riesenteil in Peking lassen.“

Doch es gibt auch viele Befürworter. „Marx gehört nach Trier. Er gehört zu Trier. Der bekannteste Sohn Triers hat einen Platz in unserer Mitte verdient“, schreibt ein Kommunalpolitiker auf Facebook, der „mit der Annahme eines Geschenks aus China in den Diskurs über politische Freiheit und soziale Gerechtigkeit“ eintreten will.

Seit Jahren ist zudem eine neue Entspanntheit im Umgang mit Marx zu beobachten. So stellte der Künstler Ottmar Hörl 2013, zum 195. Geburtstag, 500 knallbunte meterhohe Marx-Figuren vor der Porta Nigra auf; sie wurden zum beliebten Foto- und Sammlermotiv. An der Universität kursieren Tassen, T-Shirts und andere Werbeartikel mit dem Rauschebart-Marx als Logo. Sie werden vom Studierendenausschuss vertrieben, der seit Jahrzehnten eine Umbenennung der namenlosen Hochschule in „Karl-Marx-Universität Trier“ fordert.

Entspannt hat sich auch der Umgang der Kirche mit Marx. Der ebenfalls aus Trier stammende Vordenker der katholischen Soziallehre, Oswald von Nell-Breuning, hatte einst Marx‚ wirtschaftswissenschaftliche Forschung gewürdigt: „Wir alle stehen auf den Schultern von Karl Marx.“ Der vormalige Trierer Bischof und jetzige Münchner Kardinal Reinhard Marx sorgte 2010 für Aufsehen, als er sein Buch „Das Kapital“ vorstellte und die Auswüchse der kapitalistischen Wirtschaftsordnung kritisierte.

Vor allem die Museen arbeiten mit Hochdruck an den Vorbereitungen des Karl-Marx-Jahres. Wie zuletzt 2016 bei der großen Nero-Ausstellung gibt es auch 2018 eine Kooperation mehrerer Häuser. Ging es bei Nero darum, das Bild des tyrannischen Christenverfolgers durch neuere historische Erkenntnisse zu relativieren, soll auch der Blick auf Marx erweitert werden. Die Landesausstellung „Karl Marx 1818-1883. Leben.Werk.Zeit“ will den Menschen und sein Umfeld, seine Interessen und die äußeren Umstände beleuchten.

„Die Rezeptionsgeschichte von Karl Marx„, betont Oberbürgermeister Wolfram Leibe (SPD), „ist geprägt vom 20. Jahrhundert. Er ist aber eine historische Gestalt des 19. Jahrhunderts.“ In den vergangenen Monaten habe es eine Diskussion über die Statue und den Menschen Marx gegeben. Mittlerweile seien viele Trierer stolz auf „ihren“ Karl. So sieht das am späten Montagabend auch der Rat der Stadt: Mit großer Mehrheit stimmt das Gremium nach langer Debatte dafür, das Geschenk aus China anzunehmen.

Veröffentlicht von

Michael Merten

Journalist in der Großregion Trier-Luxemburg.