Portrait des Trierer Stadtschreibers Frank Meyer
In: Magazin Forum, Saarbrücken, Nr. 37, 07.09.2012
Was haben Primstaler Schwenker, das Grubenunglück von Luisenthal und ein Überfall auf die Trierer Uni-Kantine gemeinsam? Auf den ersten Blick nichts. Doch der Schriftsteller Frank P. Meyer hat aus diesen Zutaten das Gerüst seines aktuellen Romans „Normal passiert da nichts“ geformt. Der Nordsaarländer amtiert in diesem Jahr auch als Trierer Stadtschreiber: Als eifriger Kolumnist schreibt er mit Witz und Esprit über die großen und kleinen Erlebnisse des Alltags, vom Pilgern zum Heiligen Rock bis zur Begegnung mit der Erdbeerkönigin.
Ein Saarländer als Stadtschreiber – und das ausgerechnet in Trier? „Das geht doch nicht“, werden viele Moselaner als erstes denken. Es ist eine eigentümliche Beziehung zwischen dem „Pälzer“ und seinem saarländischen Nachbarn: Man kennt sich, man neckt sich, aber irgendwo schätzt man sich auch. Jetzt ist ein Mann zum literarischen Brückenbauer zwischen den Kulturen der Schwenker und Winzer geworden: Frank P. Meyer. Geboren 1962 in Hermeskeil (Kreis Trier-Saarburg), aber mit Wurzeln im Nordsaarland, wuchs er in Primstal (Landkreis St. Wendel) auf, das er zur Wahlheimat erkoren und zum Schauplatz vieler Erzählungen gemacht hat.
„Pälzer“ und „Saarlänner“ – das harmoniert nach Ansicht Meyers, der berüchtigten Hassliebe zum Trotz, ganz gut: „Viele Leute stippeln ein bisschen und machen Witze übereinander, aber viele Trierer sagen: Eigentlich mag ich die Saarländer ganz gern.“ Seit der Heilig-Rock-Wallfahrt im Frühjahr 2012 hat Meyer einen Zweitwohnsitz in Trier: Das Bistum stellte ihm eine Stadtschreiberwohnung mit Blick auf den Dom zur Verfügung. Von dort aus genießt er einen malerischen Ausblick – und wurde direkter Augenzeuge des Trubels um die Tunika Christi, denn vor allem an den Wochenenden zogen Tausende Besucher an seinem Fenster vorbei. Das war eine völlig neue Erfahrung für den Schriftsteller, dessen Hauptaufgabe als Stadtschreiber darin besteht, eine wöchentliche Kolumne zum Stadtgeschehen im Trierer Onlinemedium 16vor.de zu veröffentlichen. „Ich hatte vorher nie Kolumnen geschrieben, aber es macht Spaß, und jetzt stürze ich mich jede Woche ins Getümmel“, erzählt Meyer, der sich als „Wallfahrtslaie“ in seiner ersten Kolumne zunächst einmal mit der Geschichte der Wallfahrte auseinandersetzte.
Denn schon bei der vorletzten Wallfahrt 1959 gab es einen Sonderzug von Primstal nach Trier, wie Meyer notiert: „Der Dorfpastor, der die Wallfahrt organisierte, schritt munter vorneweg vom Bahnhof zum Gottesdienst im Palastgarten, um sich dann von dort schnurstracks – seinen Schäfchen, ‚Mir nach!‘ rufend – in die ewig lange Schlange vorm ‚Heiligen Rock‘ einzureihen. Als er sich dort ermunternd umblickte, beschlich ihn der Eindruck, seine Schar könnte irgendwie des ein oder anderen Wallfahrers verlustig gegangen sein, und als sich der Dorfpastor – endlich beim ‚Heiligen Rock‘ angekommen – freudestrahlend zu seiner Gemeinde umblickte, konnte er sich des Eindrucks nicht erwehren, morgens habe er doch eine weitaus größere Schar als dieses treue Häuflein in den Sonderzug einsteigen sehen.“
Als der Backes Hermann im Dom nach dem falschen Rock schaute
Der Rest der frommen Pilgerschar ging in den vielen Gasthäusern der Altstadt verloren, doch die 59er Wallfahrt habe – getreu dem Motto von 2012 – einiges zusammengeführt, was getrennt war. Schmunzelnd berichtet Meyer auch von einem Erlebnis der Wallfahrt von 1996, als „der Backes Hermann“ sich in die Schlange im Dom einreihte und von einer anderen Pilgerin von seinen Gedanken abgelenkt wurde: „Eine Spanierin, die etwas Deutsch konnte, drehte sich zu ihm um und wollte wissen, ob er sich in Trier auskenne. Nicht zuletzt ihre gurrenden ‚rrr‘-Laute und säuselnden ‚s‘-Töne bewirkten, dass dem Backes Hermann beinahe so schwindlig wurde wie sonst nur von zu viel Weihrauch. Er ertappte sich bei Gedanken, die er besser rasch wieder verdrängen sollte, wenn er reinen Gewissens vor die Tunika Christi treten wollte. Aber als er den Dom wieder verließ, hatte der Hermann dann doch die meiste Zeit nach dem falschen Rock geschaut.“
Der Backes Hermann – das ist eine Kunstfigur, ähnlich wie der immer wieder auftauchende Meyer Kurt. „Das sind Platzhalter: Der Kurt steht für das typisch Saarländische, der Hermann für das typisch Trierische.“ Der eine ist eher gesellig und munter, der andere eher etwas reservierter. In den vergangenen Monaten hat Meyer über eine Fülle von Themen geschrieben: Die „Zwangs-Scheranisierung“ der eigenen Wohnung, die Mini-Vibratoren auf der Toilette eines Restaurants, die Begegnung mit der Trier-Zewener Erdbeerkönigin und allerhand weiterer, lustiger Gestalten. Es gelingt dem Stadtschreiber, die faszinierenden Momente des Alltags festzuhalten – etwa jene Unterhaltung zwischen einem saarländischen Ehepaar: Er: „Solle mir net mol endlich ebbes esse gehn? Mir sinn wei schon en Schdunn hei, onn hann noch nix gäss!“ Sie: „Ei jo, hascht jo recht, dann könnde mir jo ach grad was trinke.“ Er: „Ei, das menn ich awwer aach!“
Vom Wissenschaftler zum Autor
Erste Berührungen mit der Stadt, die ihn später zum Schreiber machen würde, hatte Meyer nach dem Abitur: Er studierte zunächst in Trier, später auch in Oxford die Fächer Anglistik, Germanistik und Niederländisch. Er arbeitete eine Zeit lang bei der Tageszeitung „Luxemburger Wort”, dann als wissenschaftlicher Mitarbeiter an den Universitäten Trier und Hildesheim sowie als Gastdozent in Antwerpen. Derzeit ist Meyer neben seiner Arbeit als Schriftsteller und Stadtschreiber auch als Studienberater sowie Lehrbeauftragter für Anglistik an der Universität Trier tätig. Dort geht er mittags sehr gerne in die Mensa – ein Ort, den die Leser seines ersten, 2012 erschienenen Romans „Normal passiert da nichts“ gut kennen. Denn hier spielt ein zentrales Motiv der Handlung: Die chronisch klammen Hauptcharaktere planen einen Überfall auf die Uni-Kantine, wo die Essensgelder Tausender Studierender in den Kassen klingen. Wie kommt man auf einen Tatort wie die Uni-Mensa? „Man braucht schon etwas kriminelle Energie“, gesteht Meyer: „Mir hat es immer gefallen, Verbrechen und skurrile Geschichten zu überlegen und auszutüfteln.“
Es mache ihm Spaß, das alles minutiös durchzuplanen, und „ich bin mit einem Freund die Fluchtstrecke abgefahren, um die Zeit zu stoppen“. Allerdings verlief die Testfahrt wesentlich ruhiger als die wilde Verfolgungsjagd im Roman. Die Protagonisten sind die beiden dauerarbeitslosen Cousins Mike, ein gut aussehender Frauentyp, und Gabriel, ein eher schüchterner Geselle, dessen ganze Energie in ein Buchprojekt über die Katastrophen des Saarlands fließt. Beide Mittdreißiger leben in einer WG im ehemaligen Jugendclub von Primstal, der noch immer das Zentrum für alle trink- und schwenkerfreudigen Dorfbewohner ist. Ihr neuer Mitbewohner ist Raphael aus Antwerpen, den eine geheimnisvolle Mission ins Nordsaarland verschlagen hat. Dort lernt der Belgier die beispielhafte Effizienz des Saarländischen kennen: Das Wort Schwenker steht gleichzeitig für den Braten, das Grillgerät und den Koch – „also der Schwenker schwenkt den Schwenker auf dem Schwenker?“, lernt Raphael. Es ist ein Buch über verzweigte Familienschicksale und das verspätete Heranreifen zweier Jungs, die erkennen, dass sie dem Erwachsenwerden nicht aus dem Weg gehen können.
Tragische Momente, lustige Erlebnisse
Der Roman verknüpft tragische Elemente wie das Grubenunglück von Luisenthal, bei dem 1962 rund 300 Menschen ums Leben kamen, mit spannenden Handlungen wie dem Überfall und lustigen Geschichten wie dem „Mariathlon“: ein Saufrennen – oder Rennsaufen? – zur Trierer Mariensäule, bei dem Zweierteams eine Kiste Stubbi samt Schnapsfläschchen leer trinken müssen. Das abenteuerliche Sportereignis hat einen realen Hintergrund: „Das wurde bis 2004 alle paar Jahre spontan durchgezogen, und die beste Siegerzeit, die ich herausgefunden habe, waren 81 Minuten – die haben die ganze Kiste geleert. Da wäre ich tot“, erzählt der Autor. Obwohl auch er als Urpils-Trinker schon – durchaus angenehme – Berührungen mit Trierer Wein und Trier-Zewener Erdbeerbowle gemacht hat. Sein Lieblingssport verlangt keine derartige Trinkfestigkeit: Wenn er nicht am Schreibtisch sitzt, verbringt Meyer seine Freizeit gern im Fanblock des 1. FC Saarbrücken. „Ich schaue mir gerne die Heimspiele an, das macht mir großen Spaß.“ In Primstal, wo er seit 2004 mit seiner Frau Bettina lebt, ist Meyer angekommen: „Ich fühle mich da sauwohl und genieße richtig das Dorfleben.“
Dieses Dorfleben, aber auch die Heilig-Rock-Wallfahrt werden im nächsten Roman Meyers, der 2014 erscheinen soll, wieder vorkommen. „Es wird eine Kriminalgeschichte werden, bei der es auch ein Wiedersehen mit den Helden meines ersten Romans geben wird“, verrät Meyer. Bis dahin schreibt er eifrig an seinen Kolumnen – zuletzt etwa über das Kampfwandern im Kylltal oder den Kauf des ersten Hutes. Michael Merten
Zur Person: Frank P. Meyer wurde 1962 in Hermeskeil geboren und lebt in Primstal. Er studierte Anglistik, Germanistik und Niederländische Philologie in Trier und Oxford. Nach seiner Promotion war er wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Uni Hildesheim. Heute ist er Geschäftsführer des Graduiertenzentrums und Leiter der Studienberatung an der Uni Trier. Meyer veröffentlichte die Erzählbände „Es war mir ehrlich gesagt völlig egal“ und „Raum 101. Erzählungen über Männer“. Für 2012 wurde Meyer zum Trierer Stadtschreiber gewählt. Das Amt bekleidet er seit April. Bis Ende des Monats wird er noch in der Stadtschreiberwohnung in unmittelbarer Nähe zum Dom leben. So war Meyer auch während des 500. Jubiläums der Heilig-Rock-Wallfahrt in Trier Stadtschreiber.