Ein Spion und der Finger Gottes

Geheimagent 007 fährt tödliches Rennen in der „grünen Hölle“ des Nürburgrings

In: Luxemburger Wort, 12. September 2015

Bond is back. Alle Welt wartet auf den neuen Kinofilm „Spectre“, der im November startet. Doch schon jetzt sorgt der Geheimagent für Schlagzeilen – allerdings auf dem Buchmarkt. „Trigger Mortis“, ein neuer Bond-Roman, ist erschienen.

Ein Hauch bürgerlicher Idylle weht durch die Wohnung in der King’s Road in Londons gehobenem Stadtteil Chelsea. Kurz nach sieben Uhr morgens steigt James Bond aus der Dusche. In der Küche hat eine attraktive Schwarzhaarige mit ungleich geschnittenem Haar bereits das Frühstück vorbereitet.Pussy Galore stellt zwei Tassen Kaffee, extra stark, und ein einzeln gekochtes Ei auf den Tisch. „Bitte sehr. Genau drei ein Drittel Minuten lang gekocht, so wie du es magst“, erklärt sie – und trinkt aus ihrer Bloody Mary mit extra viel Tabasco.

Alltagssorgen eines Geheimagenten

Moment mal: Pussy Galore! Das war doch die Anführerin einer Gangster-Organisation lesbischer Frauen, verwickelt in den größten Raubzug der US-Geschichte um den legendären Schurken Auric Goldfinger. In Ian Flemings gleichnamigem Roman wurde sie erst Bonds Verbündete, dann seine Geliebte.

Und nun soll aus der verwegenen Gangsterin eine brave Hausfrau geworden sein? Was zunächst unmöglich scheint, lässt den Leser schon nach wenigen Seiten schmunzeln. Anthony Horowitz ist mit dieser Eingangs-Konstellation aus „Trigger Mortis – Der Finger Gottes“ ein gelungener Einstand im 007-Kosmos gelungen.

Material aus dem Fleming-Nachlass

Sein Werk atmet den Geist Flemings, was nicht nur daran liegt, dass er seine Handlung sofort an die Handlung aus dessen Roman „Goldfinger“ anknüpft. Vor etwas mehr als 50 Jahren, am 12. August 1964, war der Bond-Erfinder gestorben, auf dem Höhepunkt seines Ruhms. Fleming hinterließ Skizzen und Episodenentwürfe für eine geplante TV-Serie über Bond, die jedoch nie realisiert wurde.

Horowitz‘ Plot: Es ist das Jahr 1957, und Bond hat mit Hilfe Pussy Galores eine Attacke Goldfingers auf das amerikanische Goldlager Fort Knox vereitelt. Seit Wochen genießen beide die traute Zweisamkeit, doch die Beziehung hat längst Risse bekommen. „Ich bin es einfach nicht gewohnt, wie ein braves Frauchen zu Hause zu bleiben“, gesteht Pussy ihrem Geliebten.

Und auch dieser hat längst gemerkt, dass er seine Wohnung, sein Leben eigentlich lieber für sich allein hat. Er erinnert sich an seine letzte „Beziehung“ zu einer Frau, die schließlich in Dauerstreit mündete. Wenn Bond solche Gedanken hat, zeigt sich die Raffinesse des Autors. Statt wie im Film von Bett zu Bett zu hüpfen, verzettelt sich 007 ganz irdisch in den Frauengeschichten um Galore und eine attraktive Rennfahrerin.

Bis ihm nur noch zwei Auswege bleiben: Eine halbe Flasche Whisky. Und eine neue Mission. So muss der Hobby-Rennfahrer Bond in die Eifel aufbrechen, um als Teilnehmer eines Rennens auf dem Nürburgring einen Sabotageakt der Sowjets zu verhindern. Zuvor geht es für einige Tage in ein Trainingslager mit der Rennfahrerin Logan Fairfax.

„Dann sind Sie ein ganz schön dummer Polizist. Und höchstwahrscheinlich auch ein toter.“

„Sie sind Bond?“, fragt Logan den Mittvierziger, der am Rand der Rennstrecke auf sie gewartet hat. „Ja.“, antwortet 007, und Fairfax will wissen: „Es hieß, Sie seien eine Art Polizist.“ Bond antwortet ausweichend: „Das trifft in etwa zu.“ Mit skeptischem Blick hakt die Ausbilderin nach: „Und Sie werden bei einem Rennen auf dem Nürburgring mitfahren. Stimmt das?“ Bond bestätigt knapp mit „ja“ – und holt sich eine verbale Ohrfeige ab: „Dann sind Sie ein ganz schön dummer Polizist. Und höchstwahrscheinlich auch ein toter.“

Die Vorsicht der Ausbilderin, die Bond in nur wenigen Tagen auf ein Autorennen vorbereiten soll, ist angebracht. Denn der Agent muss sich nicht nur mit dem sowjetischen Geheimdienst anlegen, sondern auch mit der „grünen Hölle“, jener 1927 eröffneten Rennstrecke in der Eifel. Die heute noch genutzte, moderne Rennstrecke gab es 1957 noch nicht; damals fuhren die Piloten auf der gefürchteten, knapp 23 Kilometer langen Nordschleife.

Im Roman hat der britische Geheimdienst MI6 Hinweise darauf, dass die Sowjets mit ihrem Fahrer Dimitrow ein Attentat auf den jungen britischen Champion und Beau Lancy Smith verüben wollen. Bonds Mission: Er soll sich als reicher Playboy ausgeben, der dank des nötigen Kleingelds aus Spaß an den Europameisterschaften teilnehmen will. Dadurch soll er dem nationalen Idol Smith Flankenschutz auf der Piste geben. Doch das ist nicht so einfach, denn „der Nürburgring war von der Start- bis zur Ziellinie ein Monstrum, grausam und unversöhnlich“, schreibt Horowitz. Die Rennstrecke inmitten der Eifelwälder – sie ist für Bond „ein gewaltiges grünes Etwas, das jede Faser seines Seins auf die Probe stellen würde – mit einer Reihe entsetzlicher Herausforderungen, die innerhalb von Mikrosekunden eine exakte Reaktion verlangten.“

Mit Ehrgeiz und Talent

Mit Ehrgeiz und Talent geht Bond der Aufgabe nach und versucht, Smith vor Angriffen zu schützen. Nach dem Rennen, dessen Ausgang hier nicht verraten werden soll, hat sich das Kapitel Nürburgring für 007 jedoch schnell erledigt. Er geht auf einem nahen Schloss in der Eifel einer Spur nach, wird von einer Verbrecherbande durch das Schloss gejagt, verbringt eine letzte Nacht im kleinen Dorf Nürburg und macht sich dann auf den Weg in die USA.

In der realen Motorsportgeschichte gab es freilich keinen Champion Lancy Smith – wohl aber den britischen Rennstall Vanwall, für den dieser angeblich gefahren ist. Auch Maserati, das Fahrzeug Bonds, war damals noch im Rennsport vertreten. Beim realen Deutschland-Grand-Prix der noch jungen Formel 1 auf dem Nürburgring trat am 4. August 1957 kein geringerer als Juan Manuel Fangio im Maserati an. Fangio hatte bereits 4 WM-Titel erreicht; er brauchte nur noch einen einzigen Sieg, um sein fünftes Championat vorzeitig zu sichern. Doch die Mechaniker verpatzten seinen einzigen Boxenstopp – er verlor fast 50 Sekunden.

Alle Siegchancen schienen bereits in der elften Runde verflogen zu sein. Aber was dann folgte, ging in die Geschichte des Motorsports ein: Runde um Runde legte Fangio schneller zurück, er brach mehrfach den Rundenrekord der Nordschleife. „Fangio is driving as he never has before“, konstatierte ein begeisterter britischer Fernsehkommentator. So konnte sich der Maserati-Mann gegen zwei Ferraris durchsetzen – und Fangio wurde zum fünften Mal Weltmeister. „A glorious race for a wonderful world champion”, würdigte die Presse. Aber es sollte sein letzter Grand-Prix-Sieg bleiben. Als „Fangio’s greatest drive ever“ kann man Mitschnitte des legendären Rennens auf Youtube sehen.

Doch zurück zu jener Legende der Agentenwelt. Kaum hat Bond die härteste Strecke des Kontinents überstanden, spürt er einem dubiosen koreanischen Millionär nach, der in geheimen Verbindungen zu den Russen steht. Der Geschäftsmann verwahrt in seinem Schloss in der Eifel Fotos und Baupläne einer amerikanischen Raumfahrt-Rakete. In den USA geht 007 den Indizien nach – und gerät mitten in eine hochgefährliche Verschwörung um den „Finger Gottes“. Horowitz bleibt dem Stil, Duktus und Persönlichkeitsprofil treu, das Fleming für seinen Geheimagenten entwickelt hat.

Bond ist unter Fleming wie Horowitz ein kalt kalkulierender Agent mit klarem Freund-Feind-Denken, eine besondere Mischung aus Sentimentalität und Härte und nicht zuletzt ein Chauvinist mit unverrückbaren Vorurteilen gegenüber Frauen, Sowjet-Russen, Asiaten und Deutschen. Wer sich für spannende, kurzatmige Agenten-Abenteuer in Zeiten des Ost-West-Konflikts begeistert, dem sei „Trigger Mortis“ empfohlen. Die 14 Fleming-Bücher muss man nicht unbedingt kennen. Doch zumindest „Goldfinger“ sollte man vorher gelesen haben.
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Anthony Horowitz: „Trigger Mortis – Der Finger Gottes“, 380 Seiten, ISBN 978-3-86425-774-2.

Veröffentlicht von

Michael Merten

Journalist in der Großregion Trier-Luxemburg.