„Moin, ich bin der Robert“

In: Luxemburger Wort, 11. Mai 2019

Der deutsche Grünen-Chef Robert Habeck begeistert in Trier auch luxemburgische Parteifreunde.

Den ganzen Donnerstag über hat es in Trier geregnet; doch jetzt, um 15.30 Uhr, ist es endlich mal trocken. Das macht den zehn grünen Parteimitgliedern, die mit ihren Fahrrädern an Gleis 11 Süd warten, etwas Mut, als der CFL-Zug aus Koblenz pünktlich ankommt. Alle Blicke richten sich auf den Bahnsteig – und tatsächlich, da kommt er an: „Moin, ich bin der Robert“, sagt Habeck, begrüßt jeden Einzelnen mit Handschlag und plaudert ein bisschen drauf los. Trotz des unbeständigen Wetters zögert er zur Freude der Trierer keine Sekunde, als ihm angeboten wird, mit einem Tandem vom Hauptbahnhof zur Innenstadt zu radeln. So setzt sich ein Tross aus zehn Radfahrern in Bewegung und produziert schon vor dem offiziellen Wahlkampfauftritt die ersten Fotos für Facebook.

„Habeck laut Umfrage beliebtester Politiker in Deutschland“, so lauteten vor zwei Monaten die Schlagzeilen. Erst seit anderthalb Jahren ist der 49-jährige Bundesvorsitzender der deutschen Grünen. Eine überschaubare Zeit – doch an der Art, wie er die Trierer Parteifreunde binnen Sekunden für sich einnimmt, zeigt sich, dass es sich hier bereits um einen Hoffnungsträger der Grünen handelt. Die Blicke der Passanten am Bahnhof zieht Habeck jedoch nicht auf sich. So groß, dass er abseits des Politbetriebs erkannt wird, ist seine Bekanntheit offenbar noch nicht; es mag auch an seinem recht lässigen Auftreten in Jeans, schwarzen Schuhen und buntem Kapuzenpulli unter dem Sakko liegen. Er würde auch als leger auftretender Geschäftsführer eines Startups durchgehen.

Jede Menge Selfies warten auf den Wahllämpfer

Wenig später, an der großen Wahlkampfbühne auf dem Kornmarkt, wird Habeck hingegen schnell umringt. Eine ältere Dame kommt lächelnd auf ihn zu und sagt: „Ich wollte mal schauen, ob Sie in Natur auch so sympathisch sind.“ Habeck lächelt mit leicht spitzbübischem Blick zurück, antwortet schmunzelnd: „Das weiß ich nicht“, er weiß aber, dass er die Frau längst für sich eingenommen hat: „Doch, doch“, sagt sie, „das kann ich bestätigen.“ Es gibt ein Erinnerungsfoto, so wie es an diesem Nachmittag noch jede Menge Selfies geben wird. Weil der Europatag im Großherzogtum erstmals arbeitsfrei ist, sind „Milljuuhnen“ Luxemburger zum Shoppen ins staugeplagte Trier gekommen. Auch eine Delegation von Déi Gréng und ihrem Jugendverband ist angereist – wenn auch nicht zum Shoppen, sondern, um den Europawahlkampf grenzüberschreitend zu begehen. Und ein bisschen auch, um den Stargast des Tages zu treffen. „Es ist eine riesige Freude, Robert Habeck mitbegrüßen zu dürfen. Er ist einfach ein Mensch, der unheimlich begeisterungsfähig ist“, sagt Umweltministerin Carole Dieschbourg. Ähnlich sieht es Mobilitätsminister François Bausch: „Ich kenne den Robert sehr gut, er war 2018 bei unserem 35. Geburtstag der Grünen und hat dort auch den Großherzog kennengelernt.“

Um Bausch schart sich auf dem Kornmarkt ebenfalls eine kleine Menschentraube. Es ist in dieser Woche bereits sein zweiter Termin in der Großregion; „ich bekomme unzählige Einladungen aus ganz Europa“, erzählt er dem Luxemburger Wort. „Meistens ist der gratis öffentliche Transport der Aufhänger, aber das ist nur die Kirsche auf dem Kuchen. Zuerst muss man investieren, die Qualität und Kapazität der öffentlichen Infrastruktur müssen stimmen.“ Bausch, der dem Gratis-ÖPNV anfangs sehr skeptisch gegenüberstand, referiert nun vor Verkehrsexperten über öffentliche Verkehrsmittel und Fahrradförderung, etwa bei Vertretern des Deutschen Städtetages. „Die waren ganz begeistert. Aber wir wollen nicht als Lehrmeister im Ausland auftreten.“

Es kommt nicht voran mit dem ÖPNV

Die in Sachen ÖPNV und Radverkehr wenig erfolgsverwöhnten Trierer Grünen hängen an Bauschs Lippen. Einige Parteimitglieder erzählen begeistert, wie sie erstmals den Funiculaire oder den Panoramaradweg unter der Pont-Adolphe benutzt haben. Die vel’oh-Ebikes, die vielen mBoxen, – das gibt es in Trier so nicht. Die Deutschen sind frustriert darüber, dass die CFL zwar schon im Dezember 2019 neue Regionalbahnlinien zwischen Wittlich und Luxemburg in Betrieb nehmen wird, diese jedoch nicht wie geplant über die westliche Moselseite verkehren können. Denn von fünf allein für Trier vorgesehenen Bahnhaltepunkten, die 2018 fertig sein sollten, ist noch kein einziger im Bau. Bausch gibt sich diplomatisch: „Es ist schade, dass es zu der Verzögerung gekommen ist. Ich bin in sehr engem Kontakt mit den politischen Verantwortlichen in Rheinland-Pfalz; der Wille ist da, dass der Zeitplan für die Eröffnung der Bahnhöfe 2021 eingehalten werden kann.“

Habeck, der im Regionalzug nach Trier am Notebook arbeiten wollte, aber das WLAN fiel aus und die Funklöcher machten sich bemerkbar, ist ein bekennender Fan des Großherzogtums: „Ich kann mich noch gut dran erinnern, wie ich mit großen Augen und Ohren durch Luxemburg gelaufen bin.“ Er betont, dass ein Gratis-ÖPNV für viele stickoxidbelasteten Kommunen eine echte Alternative wäre. „In Deutschland geht es irgendwie immer nicht, aber Luxemburg macht es, was ziemlich cool ist.“ Nach mehreren Lokalpolitikern und einem Auftritt Bauschs spielt noch einmal die Band, dann geht Habeck auf die Bühne. Trotz des Regenwetters füllt sich der Platz mit mehreren Hundert Zuhörern. Einer davon ist ein Trierer NPD-Funktionär, der pausenlos auf seiner Pfeife trillert und „Volksverräter“ in Richtung Habeck ruft. Der beachtet den Störer nicht direkt, kontert ihm jedoch, in dem er unter großem Applaus davor warnt, dass die Politik nicht getrieben werden dürfe „durch Angst und Angstmacherei, durch Trillerpfeifen und Leute-nicht-zu-Wort-kommen-lassen, durch Ausgrenzung und neuen nationalen Populismus“.

Kontrast zur Parteiikone Joschka Fischer

In seiner halbstündigen Rede macht Habeck einen Rundumschlag von der Zivilcourage über eine eine CO2-Steuer, Nachtzüge zwischen den Haupstädten Europas und die Verkehrswende bis hin zum Brexit und der eskalierenden Situation im Iran. Mehr Europa, das ist die Antwort Habecks, der in seiner zurückhaltenden norddeutschen Art einen Kontrast zu den temperamentvolleren Auftritten Joschka Fischers bildet. Doch er kommt an. „Es ist cool, wie er auftritt: Bodenständig, ohne Hemd, mit Hoodie – total sympathisch“, sagt eine 30-Jährige aus dem Publikum. Doch dass er, wie es viele Medien spekulieren, einmal Bundeskanzler werden könnte, glaubt sie nicht.

Zumindest einem Ministeramt unter Merkel war Habeck 2017 nahe, doch die Liberalen ließen die Koalitionsgespräche mit CDU/CSU und Grünen platzen ließen. Bausch glaubt dennoch nicht, dass sein Parteifreund Nachhilfe in Sachen Realpolitik nötig hat: „Der Robert braucht da nicht mehr viel zu lernen. Er hat als grüner Agrarminister in Schleswig-Holstein in einer schwierigen Situation sehr viel bewegt.“ Aber wird er nicht auch ein bisschen gehyped in den letzten Monaten? „Natürlich“, sagt Dieschbourg. „Und zu recht. Er ist ein eloquenter Redner, der begeistern kann. Ich glaube, das braucht die Politik: Ehrliche und leidenschaftliche Menschen.“

Veröffentlicht von

Michael Merten

Journalist in der Großregion Trier-Luxemburg.